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Moskau, Tscherjomuschki - worum geht's?

Die musikalische Komödie, die 1962 auch verfilmt wurde, spielt in der titelgebenden Trabantenstadt Novye Tscherjomuschki am Rande Moskaus. Das Neubauviertel Tscherjomuschki galt als sowjetisches Vorzeigeprojekt und die Operette sollte mit popkulturellen Mitteln auch die dem üppigen und kostenspieligen Stalinschen Ampir (Sozialistischen Klassizismus) entgegengesetzte schlichte Typenbauweise ohne Prunkfassaden propagieren. Denn eigentlich sollen die standardisierten Großblockgebäude im Stück die Rettung der an der Wohnungsnot verzweifelnden Menschen sein, die hier eine neue Heimat finden sollen. Doch Schostakowitsch kritisiert mit wilder Lust an Satire in seiner Musik Propaganda, Baumängel, Korruption, Funktionärsgehabe und Neid, die mit der Wohnungsfrage und dem vermeintlichen -glück einhergehen. Deutlich hörbar ist es, wie sich der Komponist einen Spaß daraus machte, das Gerangel um die Wohnungen zu schildern.ᅠ

 

Die Musik ist dabei in ihrer Ausführung auf eben jene Personen zugeschnitten und beschreibt auch die Beziehungen zwischen den Figuren. Sie agiert damit nicht nur kommentierend zu den visuellen Geschehnissen, sondern kreiert durch ihre Wesensart die Botschaft erst mit. Auch die Tatsache, dass in dieser Operette ein Großteil der Dialoge gesungen wird überführt den erzählerischen und informationsbringenden Gehalt des Dialoges ebenfalls in das Musikalische, lässt die Filmmusik auf einer weiteren Ebene dem rein Visuellen gegenüber autark erscheinen. Dennoch sind Filmbild und Musik untrennbar miteinander verschränkt und bedingen sich wechselseitig. Der Körper der Musik wird dabei vom Filmbild dargestellt. Oder anderes gesagt: das Dargestellte ist der Körper der Musik, der sie (mit) ausdrückt. Der Zuschauer verbindet dabei im Verlauf des Filmes die visuelle Information mit der musikalischen.

Die Idee seiner Operette konnte Schostakowitsch erst 1958 umsetzen, nachdem er sich jahrelang vom Komponieren für das Musiktheater ferngehalten hatte. Aus gutem Grund: Als junger Mann hatte er sich bei Stalin mit seiner gesellschaftskritischen Oper Lady Macbeth von Mzensk unbeliebt gemacht, und geriet in Lebensgefahr. Unter der Überschrift „Chaos statt Musik“ hatte das Sowjetregime 1936 den musikalischen Satiriker bedrohend kritisiert. Seitdem hatte Schostakowitsch keine Note mehr für Theater geschrieben, sondern sich im Wesentlichen auf Sinfonien, Kammer- und Filmmusik beschränkt. Von der Zeit seines persönlichen und des politischen Schreckens zeugt auch das Schostakowitsch Stück, welches bei dem Philharmonie Konzert Im Schutz der Nacht zu hören ist.

 

In seiner 10. Sinfonie aus dem Jahr 1953 hat er mit enormer Kraft und großer Verletzlichkeit „eine Sprache für das Unsagbare“, wie es im Konzertprogrammheft heißt, gefunden. Erst mit dem Tod Josef Stalins hat er seiner dynamischen Musik den nötigen Spielraum für die Aufführung geben können. Hier herrscht von Beginn an eine Atmosphäre der Beklemmung und der Bedrohung. Brutal klingen die Marschrhythmen, Trommelschläge und dissonante Blechbläserakkorden. Ein musikalisches Porträt des Diktators Josef Stalin scheint hier nicht fern. Doch neben diesen vielen aggressiven, sarkastischen und trostlosen Momenten werden die Hörer mit einem Happy End überrascht. Nach Schostakowitschs Manier wohl eine Karikatur der positiven Botschaft des Sozialismus, die das Regime im Zeitalter des Sozialistischen Realismus immer als Zweck von Kunst abverlangte.

Doch auch in die heutige Zeit ist die Stimmung seiner Musik übertragbar. „Diese Werke sind ein wichtiger Beitrag zur geschichtlichen Reflexion, welche auch für unsere heutigen Entscheidungen unverzichtbar ist“, erzählt Insa Pijanka. Bei den aktuellen Tendenzen von Politik und Gesellschaft zeigen sich schon Parallelen zu den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. „Und gerade die Kunst dieser Zeit war sehr sensibel für die negativen Tendenzen in der Gesellschaft.“ Die Intendantin rät bei der Reflexion einen Blick zurück zu wagen. Denn gerade Schostakowitschs Musik mache auch emotional die grausamen Exzesse des 20. Jahrhunderts mit seinen zwei Weltkriegen und dem Terror der beiden großen Diktaturen nachvollziehbar und könne und solle eine Lehre sein.

 

Text: Melanie Unger und Marie Herbert

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