Fragen an die Intendantin Insa Pijanka
Fragen: Laetitia Meisel
Respondentin: Insa Pijanka
Schostakowitsch sagt, die Symphonie sei allen Menschen gewidmet, die den Frieden liebten. Wie und wo zeigt sich dieser Frieden? Hängt dies auch von den jeweiligen Inszenierungen ab?
Dieser Satz ist nicht wirklich als „Beschreibung“ des Inhalts der Sinfonie zu verstehen. Es ist eine für Schostakowitsch typische Formulierung, welche möglichst unverbindlichen Inhalt transportieren soll. Dies hat er bei vielen seiner Werke so gehandhabt, um öffentlich den Anforderungen der Kulturbürokratie und des Sozialistischen Realismus zu entsprechen und damit möglichst wenig angreifbar zu sein. Die Sinfonie selber hat wenig mit Frieden zu tun – unabhängig vom jeweiligen Dirigat. Inszenierung ist hier das falsche Wort, eine Sinfonie wird nicht inszeniert. Nach acht Jahren war eine neue Sinfonie von Schostakowitsch ein Ereignis in der Sowjetunion. In einem Land, das seinen Bürgern so wenig freie Informationen zugestand, waren Bücher, Bilder, Sinfonien Gegenstand eines ungeheuren Hungers nach einem Wort der Wahrheit. Solch ein Wort wog schwer, zumal von einem so bedeutenden Künstler wie Schostakowitsch. Die Menschen der Uraufführung empfanden die Sinfonie als aufwühlend und sie gab ihnen zu denken.
Über Schostakowitsch wird gesagt, dass er seine individuelle Identität gefunden hat, die sich stark von der Norm unterscheidet. Wie zeigt sich das in der 10. Symphonie?
Seine Identität hat er nicht wiedergewonnen, er hatte sie nie verloren. Aber in dieser Sinfonie zeigt er sie deutlicher und vehementer als zuvor – auch weil dies im Todesjahr Stalins für kurze Zeit erstmals möglich war. Es geht auch nicht darum sich von der Norm zu unterscheiden, sondern vor allem darum, dass das Individuum sich überhaupt frei äußern darf. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, das ausgerechnet die utopistische sozialistische Revolution den Künstlern (und nicht nur den Künstlern) die bürgerlichen Freiheiten wieder nahm und die Einheit zwischen Auftraggeber und Machthaber lückenloser schloss denn je. Hier wurde die Kunst wieder für den sakralen, rituellen und mystischen Bedarf instrumentalisiert. Den Künstlern wurde die (mehr oder weniger) freiwillige Preisgabe der Freiheit auferlegt. Ziel hierbei war die Schaffung des „neuen Menschen“, denn der Mensch war der Schwachpunkt im Projekt „Sozialismus“. Zumal in Russland, welches als wenig industrialisiertes Land eigentlich gar nicht für den Ausbruch einer sozialistischen Revolution wie Karl Marx sie vorhergesehen hatte, geeignet war. Dies hat gravierende Auswirkungen auf die Umsetzung der sozialistischen Gedanken und Anpassungen an die vorgefundene Realität zur Folge.